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Impressionen im Übermaß - Die Inkommensurablen

Der Roman „Die Inkommensurablen“ der preisgekrönten österreichischen Autorin Raphaela Edelbauer ist eine Erfahrung für sich: ein turbulenter Mix aus Zeitgeschichte und Fantasy, philosophischen Gedankenkapriolen und psychologischen Phänomenen, stringenten Handlungen und wirren Rauschzuständen. Das Wiener Volkstheater stellt sich der Herausforderung, dieses Potpourri auf die Bühne zu bringen - durchaus mit Erfolg. 

 

Wer das Buch gelesen hat, weiß, dass er hier keine konventionelle Aufführung erwarten darf - sie würde der exaltierten Romanvorlage nicht gerecht. Und tatsächlich sprengt die Inszenierung die Grenzen von Theater, wie wir es kennen. Gemeinsam mit dem Künstlerkollektiv sputnic bringt Volkstheaterdirektor Nils Voges die Romanadaption als Multimediaspektakel auf die Bühne, das alle Sinne des Publikums bedient. Die Handlung wird über weite Strecken in Form von Comics erzählt, die - mit Hilfe von KI erstellt - auf die Bühne projiziert und von den Schauspielern in wechselnder Rollenverteilung durch Dialoge unterlegt werden. Hinzu kommt eine beeindruckende Soundkulisse, dank derer sich die Atmosphäre des in Kriegshysterie  versinkenden Wiens unmittelbar auf das Publikum überträgt.

 


Dass ebendieses Publikum auffallend jung ist - 30 gilt in diesem Rahmen als alt - verwundert nicht im geringsten. Doch auch ich als „Oldie“ konnte der Inszenierung einiges abgewinnen, spiegelt sie doch den atemlosen, sich überschlagenden und - in Einklang mit dem Titel - aus jedem Maß ausbrechenden Erzählstil der Romanvorlage sehr treffend wider. Wie das Buch kokettiert auch das Theaterstück mit der Reizüberflutung, die es seinem Publikum zumutet und mit dem es an die Grenzen des noch Aufnehmbaren geht.

 

Große Anerkennung gebührt den Schauspielern für ihre gewaltige Leistung, zumal sie neben den rasanten Dialogen auch das ständige hektische Wechseln von Overheadfolien zu bewältigen haben. Hier belastet die Regie aus meiner Sicht nicht nur die Darsteller übermäßig, sondern nimmt dem Stück auch etwas von seiner Wirkung. Vom Publikum abgewandte, unter wahrnehmbarem Stress intensiv hantierende Schauspieler wirken nun einmal nicht ganz so überzeugend wie solche, die mit Leib und Seele bei der Sache sein können.

 

 

Etwas weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen, und das gilt für die gesamte Aufführung: ein bisschen weniger Spektakel zugunsten des Schauspiels, und die Mischung wäre perfekt. Trotzdem kann ich den Theaterbesuch Freunden des (sehr) modernen Theaters und insbesondere den Fans von Raphaela Edelbauer durchaus empfehlen.

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