Gabriele Ketterl
Klappentext:
München/Gran Canaria 2022
"Daniel ist tot."
Am 23. Januar 2022, um kurz nach 22:00 Uhr Ortszeit, begann für mich, für meine ganze Familie, eine neue Zeitrechnung, eine neue Ära. Es begann die Zeit ohne Daniel.
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Nur eine Woche nach seinem 20. Geburtstag starb mein Sohn unter tragischen Umständen. Nach einem nur knapp zwei Jahre dauernden Kampf hatten die Drogen gewonnen. Mein Kind erfror im Drogenrausch in einer eisigen Nacht neben einem Bahndamm.
Er kämpfte immer wieder, versuchte, sich aus dem tödlichen Kreislauf zu befreien, doch ein überlastetes marodes Gesundheitssystem und ein wahrhaft "tödliches" Umfeld führten letztendlich zur Katastrophe.
Keine Mutter, kein Vater sollte sein Kind beerdigen müssen. Wenn es mir gelingt, mit diesem Buch nur ein Leben zu retten, habe ich mein Ziel schon erreicht. Denn mag unsere Jugend es auch denken, vertraut mir: Sie sind nicht unsterblich!
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Gabriele Ketterls briefartiges Buch ist ein Schrei, ein Hilferuf, eine Anklage und eine liebevolle Abschiednahme von ihrem Sohn – und ein zeitloser Klassiker über Drogen und Teufelskreise.
Meine Meinung:
Erschreckend ehrlich
Ich kann mich noch gut an den Tag erinnern, an dem meine Facebookfreundin und Agenturkollegin Gabriele Ketterl ein Foto ihres Sohnes Daniel postete. Des jungen Mannes, dessen Konterfei mir von vielen Familienfotos vertraut war und für den ich – nicht zuletzt aufgrund der unübersehbaren Ähnlichkeit mit meinem eigenen halbwüchsigen Sohn – immer große Sympathie empfand.
An diesem 22. Jänner handelte Gabrieles Post aber nicht von liebevollen gemeinsamen Erlebnissen. Dieser Post war ein verzweifelter Aufschrei: Unser Sohn wird vermisst, er ist schwer medikamentenabhängig und suizidgefährdet, bitte helft uns, ihn zu finden!
Tief betroffen verbreitete ich den Aufruf und hoffte, zitterte, fühlte mit meiner Kollegin … bis uns einen Tag später die vernichtende Nachricht erreichte: „Unser Sohn ist tot“.
Am Jahrestag seines Todes habe ich den Roman zu Ende gelesen, den Gabriele Ketterl ihrem Daniel gewidmet hat. „Du hast versprochen, nicht zu sterben“, lautet der Titel, und er sagt eigentlich schon alles. In unzähligen Briefen tritt die Autorin mit ihrem verstorbenen Sohn in Dialog. Wir Leserinnen und Leser müssen, dürfen und wollen jeden ihrer schrecklichen Tage miterleben, von Daniels Verschwinden über die Nachricht von seinem Tod bis zum Begräbnis und darüber hinaus.
Hier haben wir es nicht mit dem kitschigen Abgesang auf einen jugendlichen Helden zu tun. Die Autorin tappt nicht in die Falle, ihr totes Kind auf eine flockig-weiße Wolke zu betten und von regenbogenfarbigen Einhörnern in den ewigen Schlaf wiegen zu lassen. Stattdessen geht sie mit ihm ins Gericht. Hart, offen, ehrlich, und voller Liebe. Immer und immer wieder fällt die eine, alles verschlingende Frage: Warum?
Eine Antwort darauf gibt es nicht. Ein sicher gebundenes, wohlbehütetes, gut umsorgtes, in Wohlstand und Harmonie aufgewachsenes Kind kann auf einen Weg geraten, der außerhalb jeglichen Einflussvermögens seiner Umgebung liegt. Der alles in Frage stellt, ja mehr noch, alles widerruft, was die Persönlichkeit dieses jungen Menschen bis dahin geprägt hat. Und die Menschen, die ihn lieben, sind dieser Entwicklung machtlos ausgeliefert.
Gabriele schreibt mehrfach, dass sie hofft, mit ihrem Roman andere junge Menschen vor dem Schicksal ihres Sohnes zu bewahren. Ihr Wort in Gottes Ohr (unabhängig von allen Glaubensfragen). Ich persönlich bezweifle, dass sich junge Menschen durch derartige Lektüre beeinflussen lassen, denke jedoch, dass alle Eltern, auch Großeltern und andere erwachsene Bezugspersonen junger Menschen, Gabrieles Geschichte lesen sollten. Wir alle sind z.B. mit dem Dilemma konfrontiert, die Privatsphäre unserer Kinder – selbstverständlich – bewahren, und doch gleichzeitig groben Schaden von ihnen abwenden zu wollen. Gabriele aber sagt aus ihrer eigenen Erfahrung (Zitat aus dem Gedächtnis, nicht wörtlich): Riskiert es, den Groll eurer Kinder auf euch zu ziehen! Schaut lieber einmal zu viel als einmal zu wenig nach, und handelt, wenn ihr besorgniserregende Umstände wahrnehmt.
Das gibt mir zu denken, ehrlich und nachhaltig. Und allein schon aufgrund dieser Aussage wird der Roman in mir nachwirken.
Fazit: Gabriele Ketterl versteht es, den Tod ihres Sohnes auf eine Art und Weise literarisch zu verarbeiten, die weder rührselig noch kitschig, weder beschönigend noch verniedlichend wirkt. Schonungslos ehrlich thematisiert sie die Drogenkarriere und den vernichtend armseligen Tod des geliebten Kindes. In jedem ihrer Sätze bleibt sie authentisch, immer ist die große Wut spürbar, die das Leseerlebnis so unmittelbar werden lässt. Immer aber auch die grenzenlose Liebe, die durch nichts aus der Bahn zu werfen ist. Als Leserin weine und fühle ich mit der Autorin. Und bin fest entschlossen, alles dazu beizutragen, Schicksale wie jenes ihres Sohnes zu verhindern, sofern es nur irgendwie in meiner Macht steht.
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