Raphaela Edelbauer
Klappentext:
In fiebriger Erregung warten die Einwohner Wiens am 31. Juli 1914 das Verstreichen des deutschen Ultimatums ab. Unter ihnen sind drei, deren bekannte Welt zu zerfallen droht: Der Pferdeknecht Hans, der adlige Adam und die Mathematikerin Klara. Der spektakuläre neue Roman der preisgekrönten Wiener Autorin ist ein literarisches Ereignis.
Wien, Zentrum der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, steht Kopf. Noch sechsunddreißig Stunden, dann läuft das deutsche Ultimatum ab. Die Stadt ist ein reißender Strom, in allen Straßen bricht sich die Kriegsbegeisterung der jungen Generation bahn. Mitten in diesen Taumel gerät Hans, ein Pferdeknecht aus Tirol, der sich auf den Weg in die Metropole gemacht hat, um die Psychoanalytikerin Helene Cheresch aufzusuchen. Dort angekommen trifft er auf Adam, einen musisch begabten Adligen, und Klara, die sich als eine der ersten Frauen an der Universität Wien im Fach Mathematik promovieren wird. Gemeinsam verbringen die drei jungen Menschen den letzten Abend vor der Mobilmachung – in einer Stadt, die sich ihrem Zugriff mehr und mehr zu entziehen droht.
Meine Meinung:
Manipulation, Suggestion und Psychoanalyse - ein historischer Ausflug in die Wiener Seele
Wahrscheinlich kann man Raphaela Edelbauers Schreibstil nur lieben oder hassen. Für das Dazwischen - die unverbindliche Zustimmung des flüchtigen Lesers - eignen sich ihre Romane nicht. Mich persönlich sprechen die Texte der österreichischen Erfolgsautorin sehr an - obwohl oder gerade weil sie der Leserschaft einiges abverlangen.
Wer meint, „Die Inkommensurablen“ nebenbei lesen zu können, um sich damit die Zeit zu vertreiben, wird mit der Lektüre nicht sehr glücklich werden und, wie ich zu behaupten wage, nicht allzu viel von ihrer Botschaft verstehen. Nur mit höchster Konzentration lassen sich die Gedanken in und hinter der Handlung nachvollziehen, die Masken der Charaktere lüften, die ihr Handeln bestimmenden Wirkmechanismen erkennen, die mathematisch-philosophischen Erörterungen verstehen.
Angesiedelt am Vorabend des Ersten Weltkriegs, begleitet der Roman den entflohenen Bauernknecht Hans nach Wien, wo der Ausbruch des Krieges die Gesellschaft in einen Rausch versetzt, der alle Gesetzmäßigkeiten auf den Kopf stellt. Da ich auf die gründliche Recherche der historischen Gegebenheiten durch die Autorin vertraue, empfinde ich das Werk auch als lehrreichen Einblick in einen Abschnitt der österreichischen Zeitgeschichte, über den ich nur sehr wenig weiß.
Wir begegnen dem adeligen Offizierssohn Adam, der als Opfer des vom Elternhaus aufgezwungenen harten militärischen Drills nur in der neuen, revolutionären Musik eines Arnold Schönberg Erlösung findet, und der hochbegabten Mathematikstudentin Klara, gespalten zwischen dem selbstbewussten Kampf für die Unabhängigkeit der Frau und der persönlichen Versklavung durch ihre Mentorin, die exzentrische Psychoanalytikerin Helene Charesch.
Während die drei jungen Leute durch die Wirren des in Kriegshysterie versinkenden Wiens taumeln, erleben sie scheinbar metaphysische Phänomene, die es zu erforschen, zu hinterfragen und zu diskutieren gilt. Wie in anderen ihrer Werke beschreitet Raphaela Edelbauer auch in diesem Roman mutig einen schmalen Grat zwischen realitätsgebundener Erzählung und Fantasy und überlässt die Leserschaft schonungslos der Unsicherheit darüber, wie die Erlebnisse der Protagonisten einzuordnen sind.
Am Ende ergibt Vieles einen Sinn, der sich dem Leser, der Leserin erst im Nachgang der Geschichte und im Nachdenken darüber erschließt. Manipulation und (Auto-)Suggestion, und zwar sowohl bezogen auf das einzelne Individuum als auch auf eine Gesellschaft als Ganzes - das ist der rote Faden, der sich durch diese aufwühlende Geschichte zieht.
Von mir gibt es eine Leseempfehlung für Liebhaber anspruchsvoller Literatur.
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