Fugen, durch die Existenzielles weht
Zweimal hatte ich es in den vergangenen Jahren bereits erfolglos versucht - heuer hat es geklappt: Mein Text wurde beim renommierten Kärntner Literaturwettbewerb „Mölltaler Geschichtenfestival“ unter 352 Einsendungen aus vier Ländern ausgewählt, an der Endauslosung teilzunehmen!
Im Vorfeld der Preisverleihung wurden die Kandidatinnen und Kandidaten eingeladen, an einem von drei Samstagen ihren Text vorzutragen. Ich war am 18. September an der Reihe, meine Geschichte im wunderschönen Bergdorf Heiligenblut zu lesen. Zwar ist die ländliche Idylle von Wien aus reichlich schwer zu erreichen - von Tür zu Tür dauerte meine Reise mit mehrmaligem Umsteigen sieben Stunden - aber meine Freude und Dankbarkeit über die Nominierung waren so groß, dass ich keine Sekunde zögerte, die Teilnahme zuzusagen.
So bereiste ich also mutterseelenallein einen großen Teil von Österreich. Es gelang mir, mich nicht zu verirren (was angesichts meines „Orientierungssinnes“ erwähnenswert ist), allerdings brachte die Reise einen gewissen Sachschaden mit sich. Den im Zug verlorenen Ohrring entdeckte ich zwar am Abend in meiner Unterwäsche wieder, aber mein Laptop hat es leider nicht überstanden, dass mir die Tasche mit voller Wucht auf den Boden knallte. Künstlerpech im wahrsten Sinne des Wortes! Ich hoffe auf die heilenden Hände meines befreundeten IT-Experten, sonst kann ich die Ruine meines Laptops nur noch mit externem Bildschirm benutzen.
In Heiligenblut angekommen, beschloss ich, die zweieinhalb Stunden zu nutzen, die mir bis zur Lesung blieben. Zwar versuchte die Sonne fieserweise, ohne mein Einverständnis unterzugehen, aber ich schlug ihr einen Schnippchen, indem ich - keuchend und schwitzend, aber stolz auf meinen Sonnenverlängerungstrick - einen steilen Bergrücken erklomm. Berauscht von der Naturkulisse und dem Endorphinkick, marschierte ich immer weiter und weiter, obwohl meine innere Uhr zunehmend alarmiert zur Umkehr gemahnte. Als sie mich schließlich so sehr nervte, dass ich mich fügte und den Rückweg antrat, war es - nun ja, ein wenig knapp geworden.
Im Laufschritt trabte ich zurück zum Hotel, sprang unter die Dusche, warf mich ins Gewand, war stolz auf die aufgeholte Zeit, jetzt nur noch in die Jacke schlüpfen und los ... Nur wo war meine Jacke? An der Garderobe hing sie nicht, im Kleiderschrank auch nicht, und ich konnte mich bei bestem Willen nicht daran erinnern, sie nach der letzten Reiseetappe im Postbus noch irgendwo gesehen zu haben. Nach einer ebenso fieberhaften wie vergeblichen Suche brach ich schließlich jackenlos zur Lesung auf, wo man mich bereits schmerzlich vermisste, weil ich nun natürlich nicht mehr im Zeitplan lag.
Die Veranstaltung selbst war wunderbar! Für mich als Stadtmensch ist es immer wieder erstaunlich zu erleben, was für eine herzliche, persönliche Atmosphäre auf dem Land herrscht. Die Menschen kennen einander, sprechen miteinander (ein für uns Großstädter äußerst fremdartiges Verhalten!), und sogar mir als Entsandte der ungeliebten Bundeshauptstadt (was ungefähr gleichbedeutend ist mit einer Ausgeburt der Hölle) begegnete man freundlich, hilfsbereit, offen. Allein schon das machte den Abend zu einem Erlebnis. Ich genoss es, die gelungenen Texte meiner Mitautorinnen und -autoren anzuhören, und stellte zu meinem Erstaunen fest, dass ich keineswegs die weiteste Anreise hinter mir hatte. Ein Kollege war aus dem Ruhrgebiet angereist, eine Kollegin aus NRW. Aus Wien waren außer mir noch zwei weitere Personen gekommen. Dabei hatte ich mir so viel auf meine eindrucksvolle Odyssee eingebildet!
Meinen Text vorzutragen, bereitete mir wie immer tiefe Freude. Ich liebe es, Menschen vorzulesen, das könnte ich ständig tun! Vielleicht sollte ich den Job wechseln und professionelle Vorleserin werden. Auf den Publikumspreis rechne ich mir zwar keine Chancen aus, weil ich, anders als andere Autorinnen und Autoren, keine wohlwollenden Begleitpersonen mitgebracht hatte, die für mich stimmten, aber das positive Feedback nach der Lesung war mir genauso viel wert wie ein Preis. Als Autorin schreibe ich, um Menschen mit meinen Texten zu erreichen, und das ist mir diesmal offenbar gelungen.
Das schönste Kompliment, das ich überhaupt jemals für einen Prosatext bekommen habe, sprach ausgerechnet der Autor, dessen Text ich selbst für den besten hielt, am nächsten Morgen am Frühstücksbüffet aus:
„Wenn ein Text Fugen hat, durch die etwas Existenzielles herein weht - dann ist das Kunst.“
Was für ein Lob! Jedes Mal, wenn ich mir diese Worte in Erinnerung rufe, bekomme ich Gänsehaut.
Zur Krönung des Tages tauchte dann sogar meine Jacke wieder auf. Ich hatte zwar schon eine online Verlustanzeige bei der Postbus-Gesellschaft aufgegeben, tatsächlich wurde das abtrünnige Kleidungsstück aber in der Hotelrezeption gefunden, wo ich es nach meiner Ankunft ausgestreut hatte. Chaos-Kaia hat wieder einmal zugeschlagen!
Bestens bejackt konnte ich wie geplant am Sonntag Vormittag mit dem Bus über die Großglockner Hochalpenstraße bis auf die Kaiser-Franz-Josephs-Höhe im Angesicht von Österreichs größtem Gletscher fahren. Was für ein überwältigendes Erlebnis! Ich spazierte über den Panoramaweg, ließ die gewaltige Naturkulisse auf mich wirken, besuchte die gläserne Wilhelm-Swarovski-Beobachtungswarte, in deren Shop ich mir leider, leider ein wunderschönes Swarovski-Schmuckset mit Glassteinen in allen Regenbogenfarben kaufen musste, erforschte dann auch noch den Gamsgrubenweg, der durch geheimnisvolle Höhlen führt ... und es wurde später und später.
Ich wusste - um meinen Postbus und dann den Zug für die Rückreise zu erreichen, musste ich den ersten Bus vom Großglockner herunter nehmen. Ich wusste das. Aber da gab es so viele Höhlen, eine nach der anderen, und man kann ja nie wissen, wie die nächste aussieht, bevor man sie gesehen hat. Oder? Allerdings wurde meine Höhlenforschung von immer größerer Unruhe begleitet, sodass ich mich bei Höhle vier (von sechs) doch dazu durchrang, umzukehren. Der geplante genüssliche Spaziergang über den Panoramaweg hatte nun keine Chance mehr, statt dessen eilte ich zügigen Schritts über die Straße zurück Richtung Busstation. Unterwegs schmiedete ich Plan B: Falls ich den Bus verpasste, würde ich es zum ersten Mal in meinem Leben mit Autostop versuchen! Wann, wenn nicht jetzt?
Dieses Abenteuer blieb mir allerdings erspart, denn ich traf satte drei Minuten vor der Abfahrt beim Bus ein. Schade um die drei Minuten, die ich noch hätte nutzen können!
Der Rest meiner Reise verlief unspektakulär, denn sicherheitshalber ging ich lieber doch kein weiteres Risiko mehr ein. Das Mölltal ist zwar traumhaft schön und ich wäre gern länger dort geblieben, aber die Arbeit rief, und ihr Ruf zog mich nach Wien, weshalb ich dem Schicksal keine Chance auf eine unfreiwillige Verlängerung meines Aufenthalts mehr gab.
Auf jeden Fall werde ich nächstes Jahr wieder am Mölltaler Geschichtenwettbewerb teilnehmen - vielleicht habe ich ja Glück und komme ein zweites Mal in den Genuss eines Kärntner Leseabenteuers!